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„….Nicht nur Seidentücher und Gewürze“

schreibt Kamal Mazlumi in der Zeitschrift Tempora

DER EINFLUSS DER ORIENTALISCHEN AUF DIE EUROPÄISCHE MUSIK

Der Fluss, der die Kultur trägt, ist immer einer Hochreligion entsprungen. Wenn er einmal über seine Ufer tritt und andere Kulturen überschwemmt, stellt er den Nährboden für die neuen Felder der menschlichen Zivilisation bereit. Gleichzeitig übernimmt er von den überfluteten Gegenden das wertvolle Erbe einer sich oft im Untergang befindenden Kultur, all das, was für die Entwicklung anderer Gegenden wiederum von großer Bedeutung ist.

Einen wichtigen Beitrag hat der Islam in dieser Beziehung geleistet und die Geschichte des legendären Musikers Zirjab aus der frühislamischen Zeit macht deutlich, wie jener Fluss das Kulturgut transportiert.

Erfüllt vom Geiste des neuen Glaubens brachten die Moslems den Persern, die in Künsten und Wissenschaften versiert waren, die Religion der Brüderlichkeit, Gleichheit und vor allem Demut. Der Islam befreite sie von vielen gesellschaftlichen Zwängen und versetzte sie in die Lage, ihre Künste zu verfeinern und den Bereich ihrer Wirkung auszudehnen. Viele der Politiker, die im Dienste von islamischen Kalifen in Baghdad standen, waren Perser.

Wissenschaftler und Künstler wurden ebenfalls von überall nach Baghdad geholt und die Bücher aus den eroberten Gebieten füllten die Bibliothek der Hauptstadt, die übrigens den Beinamen „Haus des Friedens" trug.

Zu Beginn des neunten Jahrhunderts lebte am Hofe des Kalifen Harun al Rashid in Baghdad der Musiker Ebrahim Mawssili, der über 900 Melodien komponierte, ein Konservatorium gründete und ein Orchester ins Leben rief, das aus 50 Musikern bestand. Nach Ebrahim übernahm sein Sohn lshagh den Dirigierstab und bildete viele Schüler aus, die von überall nach Baghdad strömten, um in dieser Stadt, die inzwischen zu Recht als Kulturhauptstadt der damaligen Welt betrachtet werden konnte, die Tonkunst aus erster Hand zu erlernen. Unter vielen Schülern, die bei lshagh bin Mawssili das Studium der Musik vollendeten, war ein hochbegabter Student, der sehr bald die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zog. Dieser hervorragende Musiker, der unter anderem in Astronomie, Geografie und Völkerkunde bewandert war, hatte auch eine sehr gute Stimme. Sein Name Zirjab deutet auf seine persische Abstammung. Sein Geburtsjahr wird mit 789 n. Chr. angegeben, sein Geburtsort jedoch ist umstritten. Entweder ist er in Baghdad oder in Ray, unweit von Teheran geboren. Ein Konzert in der Gegenwart des Kalifen brachte ihn in eine schwierige Lage. Der größte Herrscher der Welt war von seinem Können so verzaubert, dass er ihn sofort als seinen Hofmusiker haben wollte. Dies weckte den Neid seines Meisters Ishagh, der bis dahin die Stelle des Hofkapellmeisters innehatte.

Zirjab sah sich gezwungen wegzugehen, weil er einerseits nicht seinen Meister hintergehen wollte und andererseits das Wort des Herrschers nicht ablehnen konnte. So wanderte Zirjab von Baghdad nach Nordafrika aus. Später kam er auf Einladung von Kalif Ab´dar´ Rahman II. nach Andalusien und bereicherte den europäischen Kontinent mit den Juwelen seines Geistes. Er enthüllte immer neue Tugenden und Kenntnisse.

Es wird berichtet, dass Zirjab mehr als zehntausend Melodien abspielen und deren Struktur erläutern konnte und zwar aus dem Gedächtnis, da man noch nicht in der Lage war sie aufzuschreiben. Er war so beliebt, dass die Menschen seine Kleidung, seine Tischmanieren und sogar seine Frisur nachahmten. Noch 200 Jahre später, wenn in Andalusien etwas Neues auftauchte, erinnerte man sich sprichwörtlich an Zirjab.

Abd'ar' Rahman richtete ihm in Cordoba ein Konservatorium ein. Zirjab, der zuerst nach dem Vorbild seines Meisters lshagh lehrte, entwickelte allmählich neue Methoden für das Erlernen der Musik und setzte Interpretationsregeln und den Ablauf eines Konzertes fest, was Jahrhunderte nach ihm in Europa praktiziert wurde.

Er war es, der durch seine enormen Kenntnisse von der Musik der Völker zum ersten Mal orientalische Gesänge altgriechischen und persischen Ursprungs in Spanien einführte, was als eigentliche Quelle der späteren europäischen Musik betrachtet werden kann.

Die Aufzählung seiner Leistungen könnte noch Seiten füllen. Zirjab entwickelte eine neue Lautenart, indem er zwischen die vier Saiten der herkömmlichen Laute eine fünfte spannte und das Griffbrett genau bemessen mit Bünden versah. Bis zur Gitarre war es nicht mehr weit.

Neben Zirjab gab es zahlreiche andere große Gelehrte, die sich unter anderem mit Musik auseinandersetzten. Avicenna (980-1037), der eigentlich Abu Ali al Husain lbn Abdallah lbn Sina hieß und als bedeutendster Mediziner seiner Zeit galt, war eine musikalische Autorität ersten Ranges.

Die Schriften AI Farabis zogen bis ins 17. Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Musikwissenschaftler auf sich. Es ist unumstritten, dass diese beiden Gelehrten den Grundstein der Harmonielehre, die Definition der kleinen und großen Terz gelegt haben.

Die Rolle Andalusiens als Kulturschleuse in der musikalischen Entwicklung des europäischen Mittelalters ist größer als allgemein angenommen wird.

Um dies besser zu verstehen, sollte man auf einige geschichtliche Tatsachen hinweisen. Zwischen dem 9. und dem 13. Jahrhundert schrieben die islamischen Gelehrten über 200 Musikabhandlungen. In den bedeutendsten Klöstern Europas waren diese Bücher bekannt. Nicht nur die Instrumente wie Fiedel, Laute, Psalterion und die altgriechische Orgel, die Vorfahren von Geige, Gitarre, Cembalo bzw. Klavier und Orgel wurden nachgebaut und verfeinert, sondern auch die Musiktheorien wurden sorgfältig studiert und angewandt. Diese Tatsache wird offensichtlicher, wenn man die mittelalterlichen Gesänge der spanischen und südfranzösischen Christen sowie die gregoriansiche Musik mit dem, was von den Liedern der arabischen Andalusier übriggeblieben ist, vergleicht. Die Troubadoure, die Minnesänger dieser Zeit, die von einem Land zum anderen reisten, die Zigeuner und die Juden waren die wichtigsten Kulturbotschafter, ohne die aII jene Abhandlungen bloße Theorie geblieben wären. Die Wissbegier der Menschen kann man selten durch künstliche Schranken des Fanatismus und der Engstirnigkeit bändigen. So kamen nicht nur die schönen Seidentücher und aromatische Gewürze über Spanien vom Orient zum Okzident.

Kamaleddin Mazlumi n der Zeitschrift Tempora Nr. 3 Kunst S. 9/10, 1998